28. März 2023 - 1933-1945

Pressemitteilung: Vor 90 Jahren: NS-Terror gegen Richter und Rechtsanwälte

Im historischen Gedächtnis wird der 1. April 1933 gemeinhin mit dem von den Nationalsozialisten ausgerufenen „Boykott-Tag“ „jüdischer“ Geschäfte verbunden. Auch Ärzte und andere freiberuflich Tätige mussten ihre Berufsausübung zwangsweise einstellen. Eine der ausgegebenen Parolen lautete: „Geht nicht zu jüdischen Rechtsanwälten!“. Unerwähnt bleibt oft, dass sich der Terror schon in den Wochen zuvor an vielen deutschen Gerichten ausgetobt hatte: Gebäudebesetzungen sowie Verhaftungen und Misshandlungen einzelner Richter und Anwälte gab es am 9. März in Chemnitz, am 11. März in Breslau, am 24. März in Gleiwitz, am 28. März in Frankfurt/Main, Duisburg, Dortmund und Hagen am 29. März in Görlitz und Münster. Das hatte in Breslau dazu geführt, dass für einige Zeit alle Verhandlungstermine abgesetzt werden mussten; einmalig in der deutschen Justizgeschichte wurde auf der Grundlage von § 245 ZPO der Stillstand der Rechtspflege verkündet. Reichsweit übte die SA Rache an verhassten Anwälten der Linken: Am 12. März wurde in Kiel Rechtsanwalt Spiegel erschossen, am 29. März Rechtsanwalt Joachim in Berlin zu Tode geprügelt. Zwei Tage später spitzte sich die Lage zu: In Köln stürmten Angehörige der SA und SS das Oberlandesgericht, zwangen jüdische Richter und Anwälte einen Müllwagen zu besteigen und fuhren mit ihnen durch die Stadt. In Königsberg wurden sie gar nicht erst in die Gerichtsgebäude hereingelassen. In Berlin besetzten Abteilungen der SA die Gebäude des Landgerichts I und des Amtsgerichts Mitte. Sie drangen auch ins Kammergericht ein und zwangen jüdische Richter und Anwälte zum Verlassen des Gebäudes, wie es Sebastian Haffner – damals Referendar – eindrücklich geschildert hat. Am Abend wurden alle OLG-Präsidenten per Erlass angewiesen, „allen amtierenden jüdischen Richtern nahezulegen, sofort ihr Urlaubsgesuch einzureichen und diesem sofort stattzugeben“. Bei Weigerung sollte ihnen das Betreten der Gerichtsgebäude „kraft Hausrechts“ verboten werden. Darüber hinaus sollten „ab morgen früh 10 Uhr nur noch bestimmte jüdische Rechtsanwälte“ vor Gericht auftreten dürfen. Die Praxisschilder vieler Anwaltskanzleien wurden vielfach mit gelben Zetteln „Jude!“ überklebt. Der Ehrenpräsident des Deutschen Anwaltvereins, Justizrat Martin Drucker, war als Verteidiger gerade in einer Hauptverhandlung vor dem Landgericht Chemnitz, als er von einem Polizisten (begleitet von drei SA-Männern) in „Schutzhaft“ genommen wurde.

Rechtsanwalt Dr. Tillmann Krach, Vorsitzender des Forum Anwaltschichte e.V., erinnert in diesem Zusammenhang an den rechtsgelehrten Berliner Journalisten Rudolf Olden: „Rechtsanwalt Olden resümierte ein Jahr nach dem Boykott vom 1. April 1933, mit dieser Aktion habe sich das offizielle Deutschland nicht nur gegen die Juden, sondern gleichzeitig auch gegen die ‚Gesetze der Zivilisation‘ gewendet. Hier sei ein ‚Trennungsstrich gezogen‘ worden.“

Dr. h. c. Georg D. Falk und Dr. Sebastian Felz vom Forum Justizgeschichte e.V. schließen sich dieser treffenden Bewertung an und betonen: „Unsere Aufgabe ist es, die Erinnerung daran wachzuhalten.“