Verfassungsbeschwerde von Gaby Weber

Die Journalistin Gaby Weber hat eine Verfassungbeschwerde eingereicht, weil ihr der Zugang zu historischen Akten verwehrt wird. Die Akten befinden sich im Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung und im Historischen Institut/Archiv der Deutschen Bank, unterliegen aber eigentlich dem Bundesarchivgesetz und gehören ins Bundesarchiv. Dieses sieht sich nach eigenem Bekunden nicht in der Lage, die fraglichen Akten zu beschaffen und für die Forschung zur Verfügung zu stellen.

Das Forum Justizgeschichte e.V. hat als Amicus Curiae (§ 27a BVerfGG) dazu eine Stellungnahme abgegeben. Darin stellt es fest:

„Es geht insoweit um nicht weniger als um die Herausgabe zu Unrecht „mitgenommener“ archivierungswürdiger und -pflichtiger Akten und Unterlagen staatlicher oder öffentlich-rechtlicher Stellen, mithin um die Wiederherstellung eines rechtmäßige Zustandes. Die Rechtsverhältnisse sind insoweit durchaus vergleichbar mit einer Konstellation, in der der ausgeschiedene Amtsträger oder Verhandlungsbeauftragte sich unbefugt und damit rechtswidrig Besitz oder jedenfalls tatsächliche Verfügungsgewalt an staatlichem Eigentum oder Vermögen (z.B. an dienstlichen Geldern, einem bisher dienstlich genutzten Dienstfahrzeug, Literatur aus der dienstlichen Bibliothek oder wertvolle aus staatlichen Depots dienstlich ausgeliehene Bilder) verschafft oder gar eine Eigentümerposition angemaßt hat.“

Die Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde von Gaby Weber (Zugang zu Archivalien) in voller Länge (PDF)

Die vom Forum Justizgeschichte im Rahmen seiner Amicus-Curiae-Stellungnahme aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 20. Juni 2017 der Sache nach bei seinen Ausführungen zum Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 Grundgesetz) insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung der allgemeinen Zugänglichkeit der Quellen „für die Freiheitswahrnehmung des Einzelnen“ sowie das ihr „für die Kommunikation im demokratischen Verfassungsstaat zukommende Gewicht“ aufgegriffen und damit Pflöcke für das weitere „Zugangsverfassungs“-Verfahren gegen das Bundeskanzleramt gesetzt. Dazu ein Zitat:

„Ob unter dem Gesichtspunkt der Wiederbeschaffung von in private Einrichtungen gelangten Dokumenten bei sachgerechter Auslegung des Informationsfreiheitsgesetzes vorliegend ein Anspruch der Beschwerdeführerin gegeben und damit der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 2 GG eröffnet ist, haben die Fachgerichte noch nicht entschieden. Zwar haben sie einen Anspruch der Beschwerdeführerin – sowohl nach den Vorschriften des Bundesarchivgesetzes als auch nach denen des Informationsfreiheitsgesetzes – insoweit verneint, als es um den von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Anspruch gegenüber dem Bundesarchiv ging, welches die Akten nie in Gewahrsam hatte. Demgegenüber wurde die Frage einer möglichen Wiederbeschaffungspflicht der Akten durch die Behörde, bei der diese angefallen waren und die für diese zuständig ist, weder durch sie selbst geprüft noch – angesichts des begrenzten Streitgegenstands in den angegriffenen Entscheidungen – in die gerichtliche Prüfung einbezogen. Vielmehr stützt das Bundesverwaltungsgericht seine Zurückweisung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ausdrücklich darauf, dass in dem ihm unterbreiteten Verfahren entscheidungserheblich nur die Frage der Beschaffung von Informationen sei, die sich noch niemals im Besitz des um Gewährung von Informationszugang angegangenen Bundesarchivs befunden hätten. Um die Wiederbeschaffung von Informationen gehe es in diesem Verfahren nicht.
Unter diesen Umständen bleiben wichtige einfachrechtliche Fragen des von der Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde geltend gemachten Informationszugangsrechts ungeklärt und sind nach dem Grundsatz der Subsidiarität zunächst von den Fachgerichten zu klären. Soweit erforderlich, haben diese hierbei dann auch etwaige weitere Feststellungen zu dem tatsächlichen Charakter der in Frage stehenden Dokumente – etwa zu der Frage, ob es sich um amtliche Dokumente handelt – zu treffen, die sie bisher offenlassen konnten. Ungeachtet der Frage, ob der Beschwerdeführerin hinsichtlich der für den Antrag auf Informationszugang nach § 1 Abs. 1 IFG zuständigen Stelle ein Hinweis hätte erteilt werden müssen, kann auf eine zunächst fachgerichtliche Klärung dieser Fragen nicht unter Ru?ckgriff auf § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG verzichtet werden.
Sofern sich nach fachgerichtlicher Auslegung ergibt, dass vom Grundsatz her ein Aktenzugang nach § 1 Abs. 1 IFG eröffnet ist, bedarf es für die weiteren Voraussetzungen und Maßgaben des entsprechenden Anspruchs einer Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes im Lichte der grundrechtlich gewährleisteten Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 2 GG. Dabei ist der Bedeutung der allgemeinen Zugänglichkeit der Quellen das ihr für die Freiheitswahrnehmung des Einzelnen wie für die Kommunikation im demokratischen Verfassungsstaat zukommende Gewicht beizumessen und mit entgegenstehenden Belangen in einen vertretbaren Ausgleich zu bringen.“

Die Thematik des Entzugs amtlicher Akten durch „Privatisierung“ ist damit aus dem „Untergrund“ in die öffentliche Diskussion gehoben und gerichtlich überprüfbar gemacht worden. Das ist ein wichtiger sekundärer Erfolg des Verfahrens.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichs vom 20. Juni 2017.

Presseerklärung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 2017.

 

Presseecho zur Verfassungsbeschwerde von Gaby Weber

17.07.2017 Martin Otto, Einsicht ins Privatarchiv, FAZ

13.07.2017 Christian Rath, Streit um Akten in Privatarchiven, taz

12.07.2017 Tanja Podolski, Geheimsache „Geschäftsfreund“, Legal Tribune online

12.07.2017 Verfassungsklage im Streit um Akteneinsicht abgewiesen, Focus

02.07.2016 Dieter Deiseroth, „Der Öffentlichkeit werden wichtige Erkenntnisquellen vorenthalten“,  Telepolis

10.06.2016 Heribert Prantl, Was nicht in der Welt ist,  Süddeutsche Zeitung

 

 

Tagung: Justiz- und Behördenakten in der Zeitgeschichtsforschung

Das Forum Justizgeschichte war Mitveranstalter bei der Tagung Justiz- und Behördenakten in der Zeitgeschichtsforschung zusammen mit der Dokumentations- und Forschungsstelle der Sozialversicherungsträger und der Justizakademie Nordrhein-Westfalen, Recklinghausen. Diese war auch Veranstaltungsort.
Auf der Tagung wurde die Debatte über das Verhältnis von demokratischer Transparenz, Archivpolitik und Zeitgeschichtsforschung aufgegriffen und aus der Perspektive von Justiz, Forschung, Archiven, Datenschutz und Medien beraten. Zu den Rednerinnen und Rednern zählten unter anderem der Präsident des Bundesarchivs Michael Hollmann, die Vorsitzende des deutschen Historikerverbands und die frühere Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Marion Eckertz-Höfer.

Aus der Tagungsprogramm:
Während mehrere unabhängige wissenschaftliche Kommissionen unter den Augen einer breiten Öffentlichkeit die nationalsozialistische Geschichte und Nachgeschichte deutscher Ministerien untersuchen, hat die Judikative diesen Impuls zur Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit bislang kaum aufgegriffen. Die empirisch ausgerichtete Zeitgeschichtsforschung stößt zudem auf Hemmnisse in Bezug auf die Untersuchung von institutionellen und personellen Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Justiz nach 1945. Probleme bereitet vor allem die Praxis des Aktenzugangs und der Archivierung, die auf Bundes- und Landesebene unterschiedlich gehandhabt wird. Im interdisziplinären Austausch zwischen Vertreter/innen aus Justiz, Zeitgeschichtsforschung, Anwaltschaft, Archivlandschaft, Datenschutz und Medien soll auf der Tagung darüber beraten werden, welche rechtlichen, institutionellen und praktischen Rahmenbedingungen anzustreben sind, um den Aktenzugang zu verbessern und den Kenntnisstand in der jüngeren Rechtsgeschichte zu erweitern. Damit verbunden sind weitergehende Fragen nach dem Selbst- und Geschichtsverständnis der deutschen Gerichtsbarkeiten sowie nach dem Verhältnis von Informationszugang und Datenschutz im demokratischen Rechtsstaat.

Radio-Interviews zur Tagung
04.05.2017 Dörte Hinrichs, Von Kontinuitäten und Diskontinuitäten – Die NS-Geschichte der Judikative, Deutschlandfunk – Aus Kultur- und Sozialwissenschaften