Die Vertreibung der Rechtskultur aus Deutschland und ihre Folgen

5. Jahrestagung, 3. bis 5. Oktober 2003

Tagungsbericht

Innerhalb kurzer Zeit nach Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft wurden Hunderte jüdischer und sonst politisch missliebiger Juristen aus ihren Berufen verjagt, aus Deutschland vertrieben. Viele von denen, die geblieben waren, wurden ermordet. Anders als bei den„national“ eingestellten, anpassungsbereiten Kollegen, die sich alsbald in den Dienst des Unrechtsregimes stellten, war das kritische, innovative Element unter den vertriebenen Hochschullehrern, Richtern und Rechtsanwälten stark ausgebildet. Die Traditionslinie einer in der Weimarer Republik in der Entfaltung begriffenen Rechtskultur wurde jäh abgebrochen.

Der Aderlass an liberalem justizkritischem Potential hatte langanhaltende Folgen. Nach 1945 wurde die 1933 erfolgte „Reinigung“ der deutschen Justiz und Rechtswissenschaft nicht rückgängig gemacht. Die wenigen Zurückgekehrten bekamen ihre Unerwünschtheit oftmals zu spüren. Wolfgang Abendroth machte die Erfahrung: „Die schlimmste Belastung, welche man an der Universität zu jener Zeit mit sich herumtrug, war die, gegen den Faschismus gekämpft zu haben.“

Es waren die Schreibtischtäter und Profiteure des NS-Regimes, die die juristische Szene der frühen Bundesrepublik beherrschten. In Vorwegnahme und im Gefolge des Gesetzes nach Artikel 131 Grundgesetz wurde ihnen bei der Ämterverteilung Vorrang eingeräumt. Besonderes Misstrauen gegenüber den Emigranten zeigte sich bei der Besetzung von Schlüsselpositionen. Als sich gegen Ende der 60er Jahre die um Zeitschriften wie die „Kritische Justiz“ Versammelten der Juristen jener anderen Tradition entsannen, war dies ein wichtiger Impuls zur Gründung der seitdem entstandenen neuen Juristenorganisationen.

Die Tagung wollte am Beispiel einiger wichtiger Juristen jener Jahre den Verlust an Rechtskultur mit der Frage beleuchten, an welche der damaligen Diagnosen und Reformansätze heute wieder angeknüpft werden könnte.

Prof. Dr. Ingo Müller (Bremen)
Vertreibung der Juden – Vertreibung des Rechts
Ingo Müller, Die Vertreibung des Rechts

Prof. Dr. Gotthard Jasper (Erlangen)
Demokratisches und antidemokratisches Denken in der Weimarer Justiz

Dr. Tillmann Krach (Mainz)
Strafverteidigung und Justizkritik

Prof. Dr. Joachim Perels (Hannover)
Die Antipoden der Staatsrechtslehre: Hans Kelsen und Carl Schmitt

Dr. Peter Weber (Berlin)
Republikanische Richter auf verlorenem Posten
PDF zum Download

Prof. Dr. Hubert Rottleuthner (Berlin)
Der Exodus der Rechtssoziologie

Dr. Simone Ladwig-Winters (Berlin)
Eine wechselhafte Biographie – vom Juristen zum Politologen: Ernst Fraenkel

Prof. Dr. Joachim Perels (Hannover)
Die Verhinderung einer demokratischen Staatsrechtslehre nach 1945

Hans-Ernst Böttcher (Lübeck)
Deutsche Juristinnen und Juristen gegen den Mainstream

Dr. Thomas Henne (Frankfurt/Main)
Auf der Suche nach dem verlorenen Recht – Das Bundesverfassungsgericht und sein Beitrag zur (Grund)rechtskultur