Sexualitäten und Justiz

18. Jahrestagung, 23. bis 25. September 2016

Tagungsbericht bei H-Soz-Kult

Der Kampf um eine selbstbestimmte Sexualität frei von (staatlicher) Diskriminierung hat in den letzten Jahrzehnten einige wesentliche Fortschritte erzielt. Die dritte Gewalt spielt in dieser Entwicklung eine ambivalente Rolle. Sie bezieht die vorherrschenden Annahmen auf den individuellen Fall und ist gleichzeitig dem Schutz der Rechtssphäre der einzelnen Personen verpflichtet. Dabei kam und kommt ihr anhand von Begriffspaaren wie gesund – krank, normal – pervers, gesellschaftlich nützlich – gesellschaftlich unerwünscht, erlaubt – kriminell in entscheidender Weise und abhängig vom gesellschaftlichen Diskussionsstand die Definitionsmacht zu. Auf der 18. Jahrestagung des Forums Justizgeschichte werden wir die Rolle der Justiz bei der Definition von Sexualität und im Spannungsfeld dieser Terminologien beleuchten. Hierzu sollen Aspekte der Repressionsgeschichte gegenüber als abweichend angesehenen Formen von Sexualität einerseits, insbesondere des § 175 StGB (Homosexualität), und andere Formen der sexuellen Normierung anderseits in den Blick genommen werden. Fallstudien aus dem Kaiserreich, dem Österreich der Zwischenkriegszeit, der DDR und insbesondere aus der Justizgeschichte der Bundesrepublik Deutschland reflektieren Kontinuitäten und Veränderungen im Umgang der Rechtsprechung mit Sexualitäten. Die Achtung der Menschenwürde ist allerdings nicht dann schon verwirklicht, wenn die staatliche Repression endet. Auch die Teilhaberechte, die Durchsetzbarkeit ziviler Rechtspositionen müssen garantiert sein. Welche weiteren juristischen Schritte im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung nötig sind, um verschiedenen Formen von Sexualität ihre Gleichberechtigung zu verschaffen, werden wir ebenfalls diskutieren.

Ulrike Lembke (Universität Greifswald)
Heteronorm als Rechtsnorm: Sexualitäten und Justiz

Film: Heiner Carow, Coming Out, DDR 1989
Mit einer Einführung von Dr. Volkmar Schöneburg (MdL)

Norman Domeier (Universität Stuttgart)
Homosexualität und Justiz im Kaiserreich: Der Eulenburg-Skandal

Elisabeth Greif (Universität Linz)
„Unzüchtige Umarmungen“ – Weibliche gleichgeschlechtliche ‚Unzucht‘ in der Zwischenkriegszeit in Österreich

Nadine Drönner (Universität Berkeley)
BVerfGE 6, 389 – Die ‚Homosexuellen-Entscheidung‘ des Bundesverfassungsgerichts aus rechtshistorischer Perspektive

Greg Taylor (RMIT Melbourne)
Sexualitäten und Justiz in der DDR

Konstanze Plett (Universität Bremen)
„Natürlich“ verfassungswidrig – Trans- und Intersexuelle in der Bundesrepublik

Stefanie Westermann (RWTH Aachen)
Der Umgang mit den NS-Zwangssterilisationen in der Bundesrepublik
PDF zum Download

Der Aufsatz basiert auf dem Buch Stefanie Westermann, Verschwiegenes Leid. Der Umgang mit den NS-Zwangssterilisationen in der Bundesrepublik Deutschland (= Menschen und Kulturen, 7), Böhlau 2010. Wir danken der Autorin und dem Verlag für die Möglichkeit der Veröffentlichung.

Katja Sander (Berlin)
Die Familie als Keimzelle des Staates – Das Inzestverbot vor Gericht