Konjunkturen des Staatsschutzes. Die Justiz und der Schutz von Republik und Verfassung (1922–1972–2022)

24. Jahrestagung, 23. bis 25. September 2022, Richterakademie, Wustrau

Am 21. Juli 1922 trat das Republikschutzgesetz („Gesetz zum Schutze der Republik“) in Kraft, einen Monat nach der Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau durch die völkische „Organisation Consul“. Das Gesetz enthielt eine Reihe neuer Strafbestimmungen, etwa die Herabwürdigung der „republikanischen Staatsform“, richtete einen speziellen „Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik“ ein und ermöglichte Verbote republikfeindlicher Vereinigungen, die Beschlagnahme entsprechender Druckschriften oder Wiedereinreiseverbote für „Mitglieder vormals landesherrlicher Familien“. Auf der Grundlage des Republikschutzgesetzes wurden etwa die „Organisation Consul“ und der „Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund“ verboten, stark betroffen war aber auch die KPD. Seit 1925 galt ihre Politik der Rechtsprechung als Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens. Die Staatsfeindlichkeit der KPD verstand sich für die Justiz nach der Funktionärskörperlehre fast von selbst, während diejenige der NSDAP allenfalls im Einzelfall angenommen wurde. Grundsätzlich schützte die Weimarer Justiz den Staat an sich und verteidigte eher die Reichswehr oder die Ministerialbürokratie anstatt demokratische Institutionen und gesellschaftliche Partizipation.

Mitprägend für die Bundesrepublik und ihre Justiz wurde die (Fehl-)Interpretation, die nationalsozialistische Machtübernahme sei legal erfolgt und deutsche Juristen seien demgegenüber aufgrund ihres vermeintlichen Rechtspositivismus wehrlos gewesen. Der Anspruch, nunmehr eine „wehrhafte Demokratie“ zu sein, konkretisierte sich in den 1950er-Jahren juristisch im Schutz der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ („fdGO“). Angelegt im Grundgesetz (Artikel 9 Abs. 2, 18, 21 Abs. 2) waren die Grundrechtsverwirkung sowie Verbote von Vereinigungen und Parteien. Verfahren am BVerfG führten zum Verbot von SRP (1952) und KPD (1956). Behördlich wie gerichtlich breit praktiziert wurden nach dem Radikalenbeschluss von 1972 „Berufsverbote“ im öffentlichen Dienst.

Was aus einer Perspektive unvermeidlich ist, also Demokratie und Freiheitsgrundrechte zu ihrem eigenen Schutz staatlich zu beschneiden, wird umgekehrt als paradoxe Stärkung der Exekutive inklusive der Inlandsgeheimdienste kritisiert. Aktuelle Fälle von rechtsradikalen Netzwerken in Sicherheitsbehörden oder rechten Richtern zeigen die anhaltende Brisanz des Themas ebenso wie die Debatte darum, für Justizpersonal die sogenannte „Regelanfrage“ wieder einzuführen. Bestanden und bestehen Anknüpfungspunkte an einen demokratischen und verfassungsstaatlichen „Republikschutz“, können beim Umgang mit „Verfassungsfeinden“ die illiberalen Muster des hergebrachten Staatsschutzes vermieden werden?

Programm

Freitag, 23.9.2022

15.45 Uhr        Begrüßung durch Richterakademie und Vorstand

16.00 Uhr        Inhaltliche Einführung

16.15 Uhr        Christoph Gusy, Republikschutzgesetz – Ein Schritt zur wehrhaften Republik

17.15 Uhr        Kaffeepause

17.30 Uhr        Nathalie Le Bouedec, Weimar als Argument: Das Republikschutzgesetz in den Debatten um Staats- und Verfassungsschutz in der frühen Bundesrepublik

18.30 Uhr        Abendessen

19.30 Uhr        Informelle Fortsetzung im Märkischen Keller oder am Seeufer

Samstag, 24.9.2022

09.00 Uhr        Christoph Schuch, Antisemitismusbekämpfung und Republikschutz

10.00 Uhr        Malte Feldmann, Sprung über Schmitts Stöckchen: Hans Kelsen und die wehrhafte Demokratie

10.45 Uhr        Kaffeepause

11.00 Uhr       Yvonne Hilges/Mirjam Schnorr, Radikale Richter? Der „Extremistenbeschluss“ von 1972 und seine Anwendung auf den baden-württembergischen Justizdienst

12.00 Uhr        Mittagessen

13.30 Uhr       Friedrich Kießling, Die Bundesanwaltschaft und der lange Weg zum demokratischen Staatsschutz 1950 bis 1974

14.30 Uhr        Kaffeepause

14.45 Uhr       Inga Schuchmann, Der Stammheim-Prozess – Staatsschutz mit den Mitteln des Straf(prozess)rechts?

15.45 Uhr        Verleihung des Richard-Schmid-Preises 2022

16.45 Uhr        Mitgliederversammlung

18.30 Uhr        Abendessen

19.30 Uhr        Informelle Fortsetzung im Märkischen Keller oder am Seeufer

Sonntag, 25.9.2022

09.00 Uhr       Tim Wihl, Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung – Zur Geschichte und Krise eines unbestimmten Rechtsbegriffs (1950-2022)

10.00 Uhr        Kaffeepause

10.15 Uhr         Marlene Grunert und Sarah Schulz: „Rechte Richter“, neue Regelanfrage? (Podiumsdiskussion, moderiert von John Philipp Thurn)

11.15 Uhr          Abschluss: fish bowl – Tagungsfazit und Ausblick

12.00 Uhr        Mittagessen

13.00 Uhr        Abreise

Der Teilnahmebeitrag beträgt 195,- Euro für Nichtmitglieder, 175,- Euro für Mitglieder und 80 Euro für Studenten, Referendare und Erwerblose.

Anmeldungen richten Sie bitte bis zum 28. August 2022 an info@forum-justizgeschichte.de.